DER AUFSCHWUNG DES ÖAAB UNTER ALOIS MOCK

Als Alois Mock 1971 zum Bundesobmann des ÖAAB gewählt wurde, brachte dies eine neue Dynamik in die Arbeitnehmerorganisation der ÖVP, wofür ich vor allem folgende Gründe ausführen möchte: die Persönlichkeit von Alois Mock; seine Politik, die sich an Werten orientierte; sein Team von ausgezeichneten Mitarbeitern; seine gesellschaftspolitischen Initiativen in der Praxis.

 

1. Die Persönlichkeit Alois Mock
Als Alois Mock am 12. Bundestag des ÖAAB im Mai 1971 zum Obmann der Arbeiter- und Angestelltenorganisation der ÖVP gewählt wurde, gelang es ihm sehr rasch, eine Aufbruchstimmung zu erzeugen, sowohl hinsichtlich der politischen Ausrichtung, als auch hinsichtlich der organisatorischen Erneuerung. Es war das gewaltige persönliche Engagement des neuen Obmanns, seine Ausstrahlung, aber auch sein Bestreben, seine Politik an festen christlich- sozialen Werten zu orientieren. Mock gelang es, nach der historischen Wahlniederlage der ÖVP 1970, Menschen davon zu überzeugen, dass die ÖVP auch die natürliche Heimat der Arbeitnehmer werden kann. Das war sein erklärtes Ziel.

Dieser Aufschwung spiegelt sich wider in Wahlergebnissen, an den zahlreichen Publikationen zu grundsätzlichen Fragen; an konkreten politischen Initiativen, vor allem auch darin, dass es Mock gelang, für sein Team junge Leute zu gewinnen, die sein Engagement teilten.

Zunächst kann man den Aufschwung sehr gut in Zahlen festhalten. Erhielt Mock bei seiner ersten Wahl zum Bundesobmann 83,8 % der Stimmen, so wurde er 1974 mit 98 % wieder gewählt. Und bei den Arbeiterkammer- Wahlen 1974 erhielt der ÖAAB 29,1 % der Stimmen, fast 50 % mehr als bei den vorangegangenen AK- Wahlen. Vor allem gelang es in Vorarlberg und in Tirol auch, dass ÖAAB- Kandidaten an die Spitze der Arbeiterkammer gewählt wurden, was vorher undenkbar erschien, da diese Institutionen als ausschließliche Domäne der Sozialisten galten.

Alois Mock wollte eine „soziale Leistungsgesellschaft“, in der Sozial- und Wirtschaftspolitik im Einklang stehen; eine Existenzsicherung für alle und, als früherer Unterrichtsminister, einen höheren Lebensstandard für die Menschen durch höhere Bildung.

 

2. Eine Politik, die sich an Werten orientierte

Ein Jahr nach seiner Wahl hielt Mock im Rahmen einer Bundeskonferenz des ÖAAB unter dem Motto „Mensch- Arbeit- Gesellschaft: Die Gegenwart bewältigen und die Zukunft planen“ eine Grundsatzrede, in der er folgendes ausführte: ich sage ja zur Planung der Zukunft, aber nicht um den Preis, dass die Gegenwart vergessen wird. Wenn unsere politische Arbeit nicht von einem ehrlichen Humanismus und von der Solidarität mit dem Nächsten geprägt ist, dann haben wir nicht das Recht, das große „C“ des Wortes Christentum in unserem Programm zu verankern; und die Feststellung, „der Mensch steht im Mittelpunkt unserer Politik“ bleibt leere Phrase. Weitere Schwerpunkte dieser Rede betrafen die internationale Solidarität, den Schutz des Lebens, die Forderung nach sicheren Arbeitsplätzen; Steuergerechtigkeit und Europa-Löhne bei stabilen Preisen.

Konkret wurden diese Vorschläge dann in Gesetzesinitiativen der ÖVP im Parlament umgesetzt. Diese betrafen die Förderung des Prämiensparens, Teilzeitbeschäftigung und die Lohnfortzahlung für Arbeiter im Krankheitsfall. Die Grundsatzrede des Bundesobmanns und die in Klagenfurt gefassten Beschlüsse wurden in einer Schriftenreihe, die sich „Gesellschaftspolitische Informationen“ nannte, festgehalten und in der in Zukunft wertvolle Beiträge und Analysen zur gesellschaftspolitischen Entwicklung veröffentlicht werden sollten.

Die in Klagenfurt festgelegten Ziele betrafen die Förderung junger Familien genauso wie Angestellte, deren Arbeit von der technischen oder organisatorischen Entwicklung bedroht war. Sachlich ungerechtfertigte Differenzierungen zwischen Arbeitern und Angestellten sollten beseitigt werden. Für ältere Dienstnehmer, wie Witwen und Zivilinvalide wurden spezifische Sozialprogramme erstellt.

Um die Orientierung der Politik an Grundsätzen zu unterstreichen, wurde das „Wiener Programm“, das 1946 beschlossene Grundsatzprogramm des ÖAAB neu herausgebracht. Ziel war es, die „Verwirklichung der christlichen Soziallehre in allen Bereichen der Gesellschaft“ durchzusetzen und zwar nach den Prinzipien der Personalität, der Subsidiarität und der Solidarität. Eine Kernaussage des Programms hebt die Rechten und Pflichten des Menschen hervor. Konkret heißt es darin: „Es gibt das Recht auf Leben und die Pflicht zur Erhaltung des Lebens; das Recht auf Arbeit und die Pflicht zur Arbeit; das Recht auf den Ertrag der Arbeit und die Pflicht zur Leistung; das Recht auf Eigentum und die Pflicht aus dem Eigentum; das Recht auf Ehe und Familie und die Pflicht in der Ehe und in der Familie; das Recht auf gesellschaftlichen Zusammenschluss und die Pflicht in der Gemeinschaft; das Recht auf Bekenntnis und die Pflicht dazu“.

Eine breite gesellschaftspolitische Diskussion gab es auch im Rahmen des „Instituts für Sozialpolitik und Sozialreform“. (Kummer-Institut). Dort erschien etwa unter dem Titel „Soziale Sicherheit und politische Verantwortung“ eine Festschrift für Grete Rehor. Damit wurde auch das Engagement des ÖAAB für berufstätige Frauen unterstrichen, wobei sich Maria Fuchs um diesen Bereich sehr annahm. Irmgard Probst, Ministerialrätin im Sozialministerium, schrieb in dieser Festschrift einen Beitrag über Grete Rehors sozialpolitische Initiativen für die Frauen“. Ich befasste mich mit der Frage „Wie christlich kann der ÖAAB sein?“. In derselben Schriftenreihe setzte ich mich mit dem „Eigentumsbegriff der katholischen Soziallehre“ auseinander. In einer Festschrift für Kardinal Casaroli schrieb Alois Mock über „Menschenwürde und Demokratie“; und in einem Gedächtnis-Band, der zu Ehren von Pius XII herausgegeben wurde behandelte ich das Thema „Der Freiheitsbegriff in der Lehre von Pius XII“.

Unter Alois Mock war die Grundsatzdiskussion im ÖAAB weder zeitlich noch auf einzelne Themen begrenzt, sondern fand permanent statt. Diese Diskussionen wurden dann vielfach in der bereits erwähnten Schriftenreihe „Gesellschaftspolitische Informationen“ publiziert. Der Umfang der behandelten Themen reichte von „Protest und Gewalt- der Konflikt zwischen der Welt als Wirklichkeit und Vorstellung“ (damals äußerst aktuell wegen der beginnenden Terrorwelle); über „Der österreichische Arbeiter im Betrieb und Gesellschaft“; „Die Bildungspolitik im ÖAAB“; „Schichtarbeiter- ein Anliegen der ÖVP“; „Öffentlicher Dienst- Träger des Wohlfahrtsstaates“; „Durch mitgestalten zum selbstständigen Arbeiter“; „Öffentlicher Dienst- selbstständiger Bürger“; bis zur Abhandlung über den „Stellenwert des Liberalen in der ÖVP“. Die Analyse über die „Darstellung der Arbeit in der österreichischen Literatur der Gegenwart“ wurde sogar vom ORF verfilmt. So sehr Alois Mock fest im Gedankengut der katholischen Soziallehre verankert war, so war er auch offen für die verschiedensten geistigen Strömungen der Zeit. Wie in seinen Reden ersichtlich, übernahm er etwa Vorstellungen von Helmut Schelsky , der für den „selbstständigen Menschen“ in allen Bereichen des Lebens eintrat. Ralf Dahrendorf, später Direktor der London School of Economics, war genauso Ideen-Geber wie Kurt Sontheimer, der sich mit dem neuen politischen Bewusstsein auseinandersetzte, das aus der Studentenbewegung hervorgegangen ist. Auch Gedanken des französischen Reform-Sozialisten Michel Rocard wurden diskutiert.


3. Ein ausgezeichnetes Team von Mitarbeitern

Gleich nach seiner Wahl zum Bundesobmann gelang es Alois Mock, ein beachtliches Team von Mitarbeitern um sich zu scharen. So engagierte er umgehend Gerhild Decker (vereh. Ettmayer), legendäre Chefsekretärin von Bundeskanzler Josef Klaus. Ein besonderer Glücksgriff war es, dass Claus Raidl, der gerade sein Studium an der Wirtschaft Universität beendete, als neuer Mitarbeiter gewonnen werden konnte. Raidl zeichnete sich nicht nur durch ein äußerst profundes wirtschaftspolitisches Wissen aus, sondern kannte auch alle gesellschaftspolitischen Strömungen der Zeit.

Dies vor allem deshalb, weil er schon als Student an dem von Karl Wenger gegründeten „Institut für angewandte Sozial- und Wirtschaftsforschung“ gearbeitet hatte. In einer Zeit, in der die Juristische Fakultät der Universität Wien sehr stark von der „reinen Rechtslehre“ geprägt war, untersuchte Karl Wenger bereits die „Elemente der Preisbildung“ oder „Das Recht der öffentlichen Aufträge“. Karl Wenger war immer ein interessanter Ansprechpartner, wenn es darum ging, politische Aussagen wissenschaftlich zu untermauern.

Noch 1971 heuerte mich Claus für das neue Team an. Ich war 1969, nach Absolvierung der Diplomatischen Akademie und einem Jahr am Institut für Politikwissenschaft der Universität Paris, in den Diplomatischen Dienst eingetreten und stand gerade vor meiner ersten Auslandsversetzung. Charakteristisch war, und das soll festgehalten werden, dass es beim neuen Engagement, für mich und die anderen, weder um Gagen,
mögliche Posten oder künftige Mandate ging, man wollte einfach beim neuen Aufbruch dabei sein.

Wer aller dabei war ist sehr gut ersichtlich an der Liste jener Autoren, die 1977 am Sammelband „Verantwortung in Staat und Gesellschaft“ mitgeschrieben haben. Schon der Titel war bezeichnend: wir wussten, dass der Wohlfahrtsstaat das politische Modell der nächsten Generation sein würde. Um eine Abgrenzung zum Sozialismus aufzuzeigen, traten wir für einen „Wohlfahrtsstaat mit persönlicher Verantwortung“ ein. (Dass ein
Teil der ÖVP der Meinung war, „den Wohlfahrtsstaat können wir uns nicht leisten“, erschwerte später die Tätigkeit von Alois Mock als Parteiobmann erheblich).

Mock setzte sich im Buch mit der Frage „Politische Verantwortung im Wohlfahrtsstaat“ auseinander; Erhard Fürst, damals Direktor des Instituts für Höhere Studien, schrieb über „Staat und Individuum“. Rudolf Jettmar, Nachfolger von Raidl als Referent für Wirtschaftspolitik in der Bundesleitung des ÖAAB, behandelte das Thema „Steuergerechtigkeit in Österreich“. Er war nicht nur ein hervorragender Experte, sondern gehörte zu den ganz wenigen Wissenschaftlern seines Faches, die auch ein sehr gutes Gespür für die Entwicklungen in der Gesellschaft hatten. Mit Karl Korinek, Heinz Krejci und Peter Oberndorfer wirkten hervorragende Universitätsprofessoren nicht nur an dieser Publikation mit, sondern auch in den verschiedenen Ausschüssen der Organisation. Walter Schwimmer schrieb über die „Sozialpolitik im Wohlfahrtsstaat- Gestalten, nicht verteilen“; und Herbert Vytiska analysierte die „Veränderungen in der Medienlandschaft“.

Keiner von all denen, die in diesem „neuen Mock-Team“ mitarbeiteten, schien später in seiner Regierungsmannschaft auf. Alois Mock war eben alles andere als ein Machtpolitiker, der es verstanden hätte, seine Leute entsprechend zu platzieren. Dabei wurde etwa Walter Schwimmer später, aus eigenen Stücken, Generalsekretär des Europarates; Claus Raidl Präsident der Oesterreichischen Nationalbank; Rudolf Jettmar Finanzvorstand und Generaldirektor-Stv. der Österreichischen Post.


4. Gesellschaftspolitik in der Praxis
Die Auseinandersetzung mit Grundsatzfragen war die eine Seite, die Umsetzung in die Praxis die andere. Es war jedenfalls auch diese Verbindung von Theorie und konkreter Politik, die die Dynamik der Politik von Alois Mock prägte.

Der „Plan 2 der ÖVP zur Lebensqualität- Sozialer Fortschritt für alle“, war ein Programm der Gesamtpartei unter ihrem Obmann Karl Schleinzer. Aber redigiert wurde das Programm unter Leitung des sozialpolitischen Referenten des ÖAAB, Walter Schwimmer. Sein Ziel war es, die „Eigendynamik der sozialpolitischen Einrichtungen“ durch eine „qualitative Sozialpolitik“ zu ersetzen. In diesem Sinne wurden Vorschläge für die Mitbestimmung am Arbeitsplatz, die Vermenschlichung der Arbeit oder die Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand ausgearbeitet. Flexible Arbeitszeiten, mehr soziale Rechte für Frauen und Gastarbeiter; mehr soziale Sicherheit für Familien sollten Armut in Österreich beseitigen und zu einer „humanen Gesellschaft“ führen. Insgesamt war der „Plan 2“ ein wegweisendes Dokument. Dass bei seiner Präsentation auch der Generalsekretär der Wirtschaftskammer das Wort ergriff und erklärte, „das können wir uns alles nicht leisten“, zeigte allerdings auch auf, wie gespalten die ÖVP in diesen Fragen war.

Der ÖAAB präsentierte ein eigenes Energiekonzept; Rudolf Jettmar, Nachfolger von Claus Raidl als wirtschaftspolitischer Referent, arbeitete ein umfassendes Konzept zur Eigentumspolitik aus. Darin wurde die Privatrechtsordnung als Grundlage des Eigentums dargestellt; Vorschläge zur Wohnbauförderung, zum Mieterschutz sowie zur steuerlichen Förderung des Wohnens wurden aufgezeigt.

Jettmar hob hervor, dass Eigentumspolitik auch die Mitbeteiligung der Arbeitnehmer an Ihrem Unternehmen bedeutet. Zusammen mit Manfred Drennig und einem Kreis von Experten
ging es darum, den gesellschaftspolitischen und wirtschaftspolitischen Wandel mit zu gestalten. Die Wirtschaftsordnung war immer noch von den aus dem Zweiten Weltkrieg stammenden „Wirtschaftslenkungsgesetzen“ beeinflusst. Ziel war es nun, dass im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft auch die Arbeitnehmer in den „neuen Mittelstand“ einbezogen werden. Durch „Eigentumsbildung in Arbeitnehmerhand“ konnte vermieden werden, dass es zu einer Vermögenskonzentration für wenige Oligarchen kam, wie das nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa der Fall war.

Initiativen des ÖAAB für die Arbeiterkammer Wahlen 1979 betrafen die Teilzeitbeschäftigung, die Beseitigung des bestehenden Unterschieds zwischen Arbeitern und Angestellten bei der Abfertigung, den Schutz älterer Arbeitnehmer, die Herabsetzung des Pensionsalters für Arbeitnehmer im Schichtdienst, eine Anpassung der Lohn- und Einkommensteuer sowie eine verstärkte Mitsprache der Beschäftigten im Betrieb.

Auch bei diesen Arbeiterkammerwahlen konnte der ÖAAB schöne Erfolge erzielen. 1979 wurde Mock dann Parteiobmann der ÖVP, nachdem er ein Jahr vorher schon die Führung von deren Parlamentsklub übernommen hatte. Der Aufschwung, den Mock in der Arbeitnehmerorganisation erzeugen konnte, blieb in der Partei aus. Warum? Einerseits hatte er dann den äußerst erfahrenen Bruno Kreisky vor sich; hinter ihm stand in der eigenen Partei der krankhaft intrigante Erhard Busek, stets darauf bedacht, dem eigenen Parteiobmann in den Rücken zu
fallen.

 

Hatte Mock im ÖAAB ein Team um sich, das im In- und Ausland die besten Universitäten abgeschlossen hatte, waren in der Partei zwei Studienabbrecher tonangebend. Bei Konflikten, wie bei der Auseinandersetzung mit der steirischen Volkspartei über die Stationierung von Draken für das Bundesheer, war der Parteiobmann einfach zu konfliktscheu. Es war sehr schade, dass auf diese Weise viele Chancen vertan wurden. Aber der Aufschwung, den Alois Mock als Obmann des Österreichischen Arbeiter- und Angestelltenbundes erreichte, war ein bemerkenswerter Erfolg in der Zweiten Republik.